Rheumatoide Arthritis – Diagnose und Behandlung
Interview mit dem Rheumaexperten Univ. Prof. Dr. Josef Smolen, Univ. Prof. Kurt Redlich, Priv. Doz. Dr. Daniel Aletaha, dem Rheumatologen Univ. Prof. Dr. Clemens Scheinecker OA Dr. Christoph Porpaczy und der Polyarthritis-Patientin Renate Reicher über Diagnose und Behandlungsformen der entzündlichen rheumatischen Arthritis (rheumatoide Arthritis oder auch Polyarthritis), einer chronisch entzündliche Systemerkrankung, die verstärkt im Alter von 40 – 60 Jahren auftritt und unbehandelt zur Invalidität führen kann.
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Was ist Rheumatoide Arthritis
Rheumatoide Arthritis ist eine äußerst schmerzhafte, chronisch entzündliche Systemerkrankung. Sie tritt verstärkt im Alter von 40 – 60 Jahren auf und kann unbehandelt zu Invalidität führen. Wir haben Experten gefragt, wie man dieser Krankheit vorbeugt, wie man sie rasch diagnostizieren kann und was Linderung bei Symptomen und Schmerzen verspricht.
Meist fängt es harmlos an: zuerst Schmerzen in den kleinen Finger- oder Zehengelenken, dann an Hand-, Schulter, Fuß- oder Hüftgelenken. Die genannten Gelenke sind jene, die am häufigsten von entzündlicher, rheumatischer Arthritis betroffen sind. Hat es bis vor Kurzem oft noch bis zu sechs Jahre gedauert bis ein Patient zum Rheumatologen kam, setzt man heute alles daran die Betroffenen viel früher zu erreichen und behandeln zu können. Wenn möglich noch in den ersten Wochen nach Auftreten der ersten Gelenksschmerzen, so Privatdozent Doktor Daniel Aletaha, Rheumatologe an der Medizinischen Universität Wien.
Die Experten Univ. Prof. Dr. Josef Smolen, Univ. Prof. Kurt Redlich, Priv. Doz. Dr. Daniel Aletaha, dem Rheumatologen Univ. Prof. Dr. Clemens Scheinecker OA Dr. Christoph Porpaczy und die Polyarthritis-Patientin Renate Reicher im Interview
Behandlung und Diagnose
Dr. Aletaha: Wir behandeln natürlich Arthritis an sich, das ist die Erkrankung, die aus rheumatologischer Sicht die interessanteste ist, da sie eine von 100 Personen betrifft (großteils Frauen), aber auch teilweise eine Krankheit ist, die dazu neigt Gelenke zu zerstören und das ist das, was wir verhindern wollen. Die Arthritis selbst erzeugt Schmerzen und Steifigkeit. Das alleine ist schon schlimm genug, aber die Tatsache, dass mit dem Schmerz auch jedes mal etwas kaputt werden kann, ist etwas, dass über Jahre zu Problemen führt, in der Funktion der Patienten bis hin zur Rollstuhlpflichtigkeit, die man heute Gott sei dank immer weniger sieht.
Anmerkung: Wird die Polyarthritis nicht innerhalb der ersten Monate diagnostiziert und nicht rechtzeitig behandelt, sieht man schon nach sechs Monaten Gelenksveränderungen. Das ist das Dramatische, weil jede Gelenkszerstörung dauerhaft und irreversibel ist. Frau Reicher hat diesen Leidensweg fast ihr ganzes Leben durchmachen müssen.
Fr. Reicher: Der Arzt hat gesagt, dass ich zu spät hier her gekommen bin. Ich hätte früher kommen sollen, dann wäre eine Heilung leichter. Jetzt ist schon der Abbau da.
Anmerkung: Neben den Gelenksdeformierungen und der typischen Morgensteifigkeit der Finger sind die starken Schmerzen für Frau Reicher immer das Schlimmste gewesen.
Fr. Reicher: Die Schmerzen hatte ich schon in jungen Jahren. Diese betreffen sämtliche Gelenke und man hat Schmerzen im Kreuz und in den Schultern.
Anmerkung: Wer länger immer wiederkehrende oder anhaltende Gelenksschmerzen oder Schwellungen der Gelenke bemerkt, soll spätestens nach drei Wochen zu einem Rheumatologen gehen. Laut OA. Dr. Christoph Porpaczy von der Rheuma-Ambulanz im Krankenhaus Hietzing, sind heute bildgebende Verfahren wie Ultraschall und MR sehr aussagekräftig. Auch Blutbefunde können hilfreich sein, vor allem ist es nach wie vor die klinische Untersuchung durch einen Facharzt, die schließlich zu einem exakten Ergebnis führt.
Ultraschalluntersuchung
Dr. Porpaczy: Die Diagnose ist primär eine Klinische und setzt sich zum überwiegenden Teil aus der Anamnese, also der Befragung des Patienten zusammen.
Anmerkung: Insbesondere bei entzündlichen Gelenksprozessen im Bereich der Hände und Füße kommt nun der Ultraschall mit großem Erfolg vermehrt zum Einsatz.
Dr. Porpaczy: Man kann die Flüssigkeit im Gelenk darstellen, die bei Entzündungen vermehrt da ist. Man kann die Durchblutung im Gelenk darstellen, die ebenfalls eine Folge der vermehrten Entzündungen in dem Bereich sein kann. Und man kann mit einer Auflösung bis unter einem halben Millimeter die Strukturen des Knorpels und des Knochens darstellen und sieht somit Veränderungen früher als in der normalen Röntgenuntersuchung. Dadurch kann die Diagnose früher gestellt und die Therapie früher begonnen werden.
Anmerkung: Die meisten rheumatischen Erkrankungen werden heute standardisiert, nach einer medikamentösen Stufentherapie effizient behandelt, wie der Wiener Rheumatologe Universitätsprofessor Doktor Clemens Scheinecker erklärt.
Dr. Scheinecker: Normalerweise haben wir eine Behandlungsstufenpyramide. Sobald die Diagnose feststeht, fangen wir mit Medikamenten an, von denen wir wissen, dass sie die Krankheit stoppen oder zumindest dramatisch bremsen können. Sollte das nicht ausreichen, greift man zu den neuen Biologika. Die wichtigsten sind sicher die TNF-Blocker.
Anmerkung: Dabei können einige Patienten in die sogenannte Remission gebracht werden, das heißt der Krankheitsverlauf wird beinahe gestoppt und es herrscht eine Symptomfreiheit.
Dr. Smolen: Weitere 45 Prozent haben eine sogenannte niedrige Krankheitsaktivität, dies bedeutet, dass die Krankheit auf Niedrigstem Niveau geschieht. Der Krankheitsverlauf wird in erster Linie durch sogenannte Basistherapeutika beeinflusst, diese sollen an die Wurzel des Geschehens gehen, weswegen sie auch nicht von heute auf morgen wirken, sondern ein paar Tage, Wochen oder sogar zwei bis drei Monate brauchen bis ihre Wirksamkeit zu sehen ist.
Patientenmitwirkung
Anmerkung: Das Mitwirken der Patienten ist von enormer Bedeutung, denn in der Regel geht es um eine eigenständige Behandlung. Das eigenständige Absetzten einer Therapie hat fatale folgen.
Dr. Smolen: Wir haben genügend Patienten, die wenn sie in eine sogenannte Remission kommen, also in einen heilungsähnlichen Zustand, die Medikamente absetzen, weil sie glauben es ginge ihnen wieder herrlich. Leider kommt es dann insbesondere bei der chronischen Polyarthritis, bei zwei Drittel, wenn nicht sogar drei Viertel der Fälle innerhalb von ein bis zwei Monaten zu einem großen neuen Schub. Das Traurige daran ist, dass ich mich an keine einzige Patientin erinnern kann, bei der genau dieser Fall eingetreten ist, die wir je wieder in die Situation haben bringen können, in der sie war, bevor sie die Medikamente abgesetzt hat.
Aktuelles zur Rheumaforschung
Anmerkung: Die weltweite Rheumaforschung (und Wien liegt hier im internationalen Spitzenfeld) arbeitet auf Hochtouren. Im Rheumaforschungslabor, der medizinischen Universität laufen zahlreiche Projekte, die auch in der medikamentösen Therapie ganz neue Ansätze bringen sollen. Einer dieser Forschungsleiter ist Universitätsprofessor Kurt Redlich.
Dr. Redlich: Wir in unserer Abteilung haben uns beispielsweise sehr der Frage gewidmet wie eines dieser ganz typischen Merkmale, nämlich die Gelenksknochenzerstörung Zustande kommt. Da konnten wir zeigen, dass sogenannte Osteoklasten (Knochenfresszellen) dafür verantwortlich sind und das eröffnet die Möglichkeit gezielt zellenblockierenden Therapien neue Wege zu eröffnen. Das bedeutet ganz konkret, dass man schon lange vor der Osteoporose her Medikamente kennt, die am Knochen wirksam an diesen Zellen arbeiten, also kann man auch aufgrund unserer Forschungsergebnisse diese Zellen nicht nur bei der Osteoporose, sondern auch bei der chronischen Polyathritis einsetzen um diese Knochenzerstörung im Bann zu halten.
Anmerkung: Die Hoffnung dabei ist, dass wenn man diese fresszellhemmenden Medikamente mit den entzündungshemmenden Biologika kombiniert, eine bis dato nicht erreichte, aber effiziente Medikamententherapie gewählt werden kann. Dazu werden natürlich weitere Studien notwendig sein, mit neuen Rheumakriterien, die in Wien entwickelt wurden und weltweit angewandt werden, soll es gelingen solche groß angelegten Forschungsstudien zu vereinheitlichen.
Dr. Aletaha: Diese Kriterien sind an sich Klassifikationskriterien, das heißt sie dienen zum Einschluss in Studien. Wenn man Patienten-Populationen oder Patienten mit früher Arthritis studieren wollte, hat man bis jetzt keine richtigen Kriterien gehabt.
Rheumafrühphasen
Anmerkung: Die neu entwickelten Kriterien sollen in einem Punktesystem die Rheumafrühphasen besser klassifizieren helfen und somit einheitliche Forschungsergebnisse in früheren Krankheitsstadien ermöglichen.
Dr. Aletaha: Damit wird es uns hoffentlich möglich sein mehr über die Frühphasen zu lernen, aber ich glaube auch dass es für die Praxis relevant sein wird. Früher sind jahrelang mit einem Bus und einem Zelt durch das Land gezogen um Leute früh zu fischen, die diese Beschwerden haben, aber noch nicht zum Arzt gehen. Wir haben aber eben nicht das richtige Tool gehabt. Das ist möglicherweise schon eine positive Veränderung, die die Kriterien mit sich bringen werden.
Anmerkung: Ob Forschung oder Praxis, wichtige Kriterien sind Gelenkschmerzen, Schwellungen und Gelenkssteifigkeit. Trifft ein Kriterium zu, sollte wie erwähnt der rasche Weg zum Rheumatologen und eine fachärztliche Abklärung folgen.
Linktipps:
– Rheumatoide Arthritis: Symptome & Diagnose
– Aufbrauchleiden: Was tun gegen Abnützung der Wirbelsäule und Gelenke?
– Arthrose – was tun wenn die Gelenke schmerzen?
– Naturheilkunde – die Klettenwurzel als Heilpflanze
– Gesundheitslexikon: MSM, Wundermittel der Natur